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OPfer- und Täternarrative

Darstellungen von Kindersoldat*innen können in drei Kategorien eingeordnet werden:

  1. „das hilflose Opfer”

  2. „Dämonen und Banditen” und

  3. „Helden”.

Das hilflose Opfer

Ein häufig genutztes Narrativ in Spielfilmen ist jenes des hilflosen Opfers. Dieses basiert auf dem zeitgenössischen Konzept des Westens, Kindheit mit Unschuld, Verletzlichkeit und dem Bedürfnis nach Schutz zu assoziieren. Kindersoldat*innen werden dabei als sehr junge, unselbstständige und naive Kinder abgebildet, die durch bösartige Erwachsene manipuliert und zu Gräueltaten gezwungen wurden.

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In Beasts of No Nation werden die ehemaligen Kindersoldat*innen am Ende des Films spielend im Wasser gezeigt. Für die Zuschauer*innen scheint es, als seien sie einfach in ihre Kindheit zurückgekehrt und machten an dem Punkt weiter, an welchem sie von den bewaffneten Gruppen aus ihrem bis dato alltäglichen Leben herausgerissen wurden.

 

Durch diese filmische Darstellung wird nicht nur ein spezielles Kindheitskonzept transportiert, sondern auch die psychologischen Traumata verbunden mit dem Soldat*innen-Dasein als unwesentlich typisiert.

Beasts of No Nation (FUKUNAGA 2015: 02:10:00)

Mit dem Narrativ des hilflosen Opfer ist auch ein zweites Stereotyp verbunden, in welchem Kindersoldat*innen als irreversibel beschädigt definiert werden. Gerade in bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen im Globalen Süden hat sich diesbezüglich auch der Terminus der verlorenen Generation eingebürgert.

 

In First they killed my father wird eine solche verlorene Generation von Kindern dargestellt. In der Verkörperung der Kindersoldatin Loung Ung wird aufgezeigt, wie Kambodias Kinder unter der jahrelangen Herrschaft der Roten Khmer leiden mussten und zur Flucht in die benachbarten Staaten gezwungen wurden. Loung Ung wird dabei im westlichen Kindheitskonzept als unschuldiges Kind charakterisiert, dessen Sehnsucht nach einer ‘normalen’ Kindheit durch einen Bären repräsentiert wird, den sie in einer verlassenen Hütte findet (Link zum Trailer).

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First they killed my father (JOLIE 2017: 01:37:13)

Dämonen und Banditen

Die Darstellung von Kindersoldat*innen als Dämonen und Banditen ist ein gängiges Narrativ, das häufig in der journalistischen Berichterstattung und im politischen Diskurs genutzt wird. Kinder, die sich aktiv an Kämpfen beteiligen, werden dabei als unheilvolle und tickende Zeitbomben stilisiert, die der Gemeinschaft ausschließlich Negatives bringen.

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Beasts of No Nation (FUKUNAGA 2015: 53:36)

Ein filmisches Beispiel dafür findet sich in Beasts of No Nation. Der Kindersoldat Agu bringt gemeinsam mit einem anderen Kindersoldaten einen Gefangenen mit einer Machete um. Die Brutalität dieser Szene äußert sich in zwei Aspekten: Zum einen wirkt der Akt des Tötens wie automatisiert. Die beiden Jungen schlagen dutzende Male kraftvoll auf den unschuldigen Mann ein und ‘hacken’ ihn förmlich in Stücke. Zum anderen wird das Kamerabild zunehmend durch Blutspritzer beschmutzt.

 

Nach der Tat können die Zuschauer*innen Agus Gedanken hierzu hören: „God, I have killed. It is the worst sin, but I am knowing too, it is the right thing to be doing." Später im Film hat sich Agus Beziehung zu Gewalt jedoch drastisch verändert. Dargestellt wird dies vor allem durch eine Szene, in welcher Agu und einige andere Kindersoldaten, ohne dazu gezwungen zu werden, auf ein Kleinkind eintreten (Link zur Szene).

Heldentum und Agency

Die dritte und letzte Kategorie ist die des/der Held*in. Dieses Bild ist kein neues, da es beispielsweise schon während des Amerikanischen Bürgerkrieges genutzt wurde, um die in den Armeen als Musiker und Trommler dienenden Jungen mit Tapferkeit und Heldentum zu assoziieren. Der Kindersoldat wird folglich als Held wahrgenommen, dessen Mut, sich gegen Ungerechtigkeit und für das Vaterland einzusetzen, als Akt der Selbstbestimmung wahrgenommen wird.

 

Obwohl Kindern oft ihre Agency abgesprochen wird, sollten ihre Fähigkeiten, einen freien Willen auszuüben und sich eine Meinung zu bilden, von Erwachsenen anerkannt werden. Schließlich entscheiden sich nicht nur einige Kinder freiwillig, bewaffneten Gruppen beizutreten, sondern sie wissen auch zu manipulieren und zu lügen, um unter anderen Kampfhandlungen, Vergewaltigungen oder Ermordungen zu vermeiden. So berichtet ein ehemaliger Kindersoldat Folgendes:

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„I [was told] to attack a woman, but [instead of attacking her] I helped the woman escape. My colleague reported me… I was tied and beaten… They used electric cables and sometimes military belts." (DENOV 2012: 289)

Interessanterweise weisen zahlreiche Autor*innen darauf hin, dass die Rettung der Kindersoldat*innen, wie sie bevorzugt in White-Savior-Filmen gezeigt werden, eher die Ausnahme ist. Weitaus häufiger beschließen Kindersoldat*innen selbstständig, von der bewaffneten Gruppe wegzulaufen oder unterzutauchen, wie es beispielsweise in  Rebelle und Feuerherz thematisiert wird.

 

Eine andere Form der Agency zeigt sich in El cuaderno de Sara. Einer der Kindersoldat*innen beschließt, den Kommandeur The Hawk aus Rache umzubringen. Allerdings ist dieser bereits verstorben, was der Kindersoldat nicht weiß und deshalb versehentlich einen anderen umbringt. Zur Strafe wird er von den anderen Soldat*innen mit einer Waffe zusammengeschlagen und anschließend erschossen.

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El cuaderno de Sara (LÓPEZ AMADO 2018: 01:42:53)

Opfer oder Täter*in?

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Blood Diamond (ZWICK 2006: 01:07:50)

Die Kategorisierung als Opfer begründet sich darin, dass Kindersoldat*innen während ihrer Zeit in einer bewaffneten Gruppe sowohl psychologische als auch physische Gewalt erleiden. In zahlreichen Fällen werden sie bedroht, geschlagen, gefoltert, verstümmelt, sexuell misshandelt, ausgebeutet, versklavt oder getötet. Zudem werden ihnen teilweise auch Drogen verabreicht, wie es in Johnny Mad Dog und Blood Diamond dargestellt wird (Link zur Szene).

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Für ihre Kategorisierung als Täter spricht hingegen, dass Kindersoldat*innen aktiv Gewalt ausüben und sich an Menschenrechtsverletzungen sowie an strafbaren Handlungen beteiligen. Dies kann aus unterschiedlichen Gründen geschehen, beispielsweise aus Gehorsam, aufgrund einer Ideologie oder weil Gewalt als Normalität oder Befriedigung betrachtet wird.

Kindersoldaten erfahren folglich selbst Gewalt, üben jedoch gleichzeitig auch Gewalt aus. Daher kann ihnen ein Doppel-Status als Opfer und Täter zugesprochen werden.

Lovelita: „Since when are you fighting the war?"

Johnny: „I was too small, too small. I started when I was ten."

Lovelita: „What was your name before?"

Johnny: „I forgot my name."

Lovelita: „Where are you coming from? Where is your family?"

Johnny: „I got no family."

(SAUVAIRE 2008: 57:04 – 57:32)

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